Potosí und der Berg, der Menschen frisst

Die höchste Stadt der Welt heißt Potosí und liegt im südlichen Altiplano Boliviens. Berühmt ist sie aber vielmehr für die reichhaltigen Silber- und Zinnvorkommen in den umliegenden Bergen, allen voran im 5000 Meter hohen Cerro Rico, dem reichen Berg. Angeblich wussten schon die Inca um die im Berg verborgenen Schätze. Allerdings besagte eine Prophezeihung, dass die Silbervorkommen nicht für die Inca, sondern für ein Volk, das aus einem fernen Land kommen wird, bestimmt sei. Und so waren die Erzvorkommen weitgehend unberührt, als die Spanier Wind von der Sache bekamen. Umgehend machten sie sich ans Werk, das Silber zu bergen und gründeten am Fuße des Cerro Rico die Stadt Potosi, benannt nach dem inkaischen Namen des Berges. Und so gelangte Potosí im Laufe der fast 300-jährigen spanischen Herrschaft zu der traurigen Berühmtheit, die die Stadt heute hat: als Symbol kolonialer Ausbeutung schlechthin.

Anfangs setzten die Spanier afrikanische Sklaven zur Arbeit in den Minen ein, mussten aber bald feststellen, das diese für die Plackerei in der eisigen Höhe über 4000 Meter absolut ungeeignet waren. Also ging man bald dazu über, die einheimischen und wesentlich besser angepassten Indios zum Dienst in den Minen zu verpflichten. Schätzungen zufolge holten die Menschen rund 14.000 Tonnen Silber aus dem Berg - und über 8 Millionen Indios und afrikanische Sklaven verloren unter den unsäglichen Bedingungen ihr Leben. Ironie der Geschichte ist, dass das Silber den Spaniern auch nicht zum Vorteil gereicht hat. Eine kleine Elite bezahlte damit Luxusgüter, die aus England, Frankreich oder Deutschland kamen - das Silber aus Potosí diente so als Startkapital für die europäische Industrialisierung. Spanien hingegen blieb bis ins 20. Jahrhundert Agrarland.

In Potosí ist die Tragik dieser Vergangenheit stets präsent, der Cerro Rico thront wie der Schicksalsberg über der Stadt, die im 17. Jahrhundert die größte der Welt war und in der man zu besonderen Festen angeblich die Straßen aufriss, um sie mit Silberbarren zu pflastern. Die Menschen haben den Berg in der Hoffnung auf schnellen Reichtum durchwühlt, ihre Hoffnungen hat er unter sich begraben. Mittlerweile sind die großen Erzflöße erschöpft, maschineler Abbau im großen Stil ist unrentabel geworden. Und so graben sich die Mineros in mühsamer Handarbeit, privat organisiert in kleinen Kooperativen, weiter ins Innere der Erde. Viele sind noch Kinder, mit elf oder zwölf fangen sie an, in den Minen zu schuften, um pätestens nach 30 Jahren in den engen, dunklen, feuchtheißen Schächten an Staublunge (Silikose) zu verrecken - die Zeit dazwischen wird betäubt mit Coca und hochprozentigem Alkohol. Bei acht Euro Tageslohn bleibt kein Platz zum Träumen.

Mittlerweile haben die Mineros den Tourismus zur Aufbesserung ihres kärglichen Auskommens entdeckt und so kann man die Minen im laufenden Betrieb besichtigen. Zunächst besorgt man dafür einige Geschenke für die Minenarbeiter: Alkohol, Zigaretten, Cocablätter - und Dynamit (Potosí ist die einzige Stadt der Welt, in der das frei verkäuflich ist). Dann gehts mit Helm und Lampe in den Cerro Rico, der heutzutage eher Gemeinsamkeiten mit einem schweizer Käse hat - über 500 Schachtkilometer wurden im Laufe der Jahrhunderte in den Berg getrieben. Was einen dann im Inneren der Minen erwartet, das kann man nur schwer in Worte fassen. Enge, staubige, finstere Gänge, man watet permanent im Wasser - anfangs ist es bitterkalt, tiefer im Berg dann imm wärmer und schließlich feuchtheiß. Alle paar Meter heißt es Kopf einziehen - und an einigen Stellen kommt man nur auf allen Vieren weiter. Immer wieder muss man sich in eine Nische entlang der Gänge drücken, weil Mineros mit einem der tonnenschweren Gesteinswägen angerauscht kommen. Ein Arbeitsplatz wie aus der Hölle - kein Wunder, dass die Indios das Innere der Erde dem Teufel zugeschrieben haben. So gibt es in jeder Mine einen sogenannten Tio, eine Verkörperung des Teufels und Eigentümer aller Dinge unter der Erde, der mit Tabak-, Coca- und Alkoholopfern milde gestimmt werden will.

Für uns ist ein Leben unter diesen Umständen wohl nicht vorstellbar - ich habe eine ganze Weile gebraucht, um selbst die paar Stunden in den Minen halbwegs verarbeiten zu können. Wirklich begreifen werde ich wohl nie, was es heißt, auf diese Weise sein Dasein fristen zu müssen.


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